Abwettern im Zelt bei Schneesturm

Den ganzen Tag Abwettern im Zelt. Der Wind peitscht durch das Fjell. An Weiterlaufen ist nicht zu denken. Und ruhend ist es nur im Schlafsack warm genug. Was macht man in so einer Situation? Auf unserer diesjährigen Tour hatten wir an der Hälfte aller Tage Windgeschwindigkeiten bis zu 15 Metern pro Sekunde. An einem Tag mit Spitzenwerten von 21 m/s haben wir uns dann für das Abwettern im Zelt entschieden und sind nicht weitergegangen. Ich möchte dieses Erlebnis zum Anlass nehmen, ein wenig über das Abwettern zu schreiben.

Inhaltsverzeichnis

Was heißt Abwettern im Zelt?

Der Begriff Abwettern kommt ursprünglich aus der Seefahrt und eine passende Definition dafür lautet:

Abwettern bezeichnet strategische und taktische Maßnahmen sowie Verhaltensweisen, um in einem Sturm und/oder bei schwerer See Beschädigungen und Gefahren für ein Seefahrzeug sowie dessen Ladung und Besatzung zu vermeiden. Priorität haben Maßnahmen zur Abwendung von Gefahr für Leib und Leben. [Wikipedia]

Unter den strategischen Maßnahmen versteht sich in der Seefahrt, dass Schlechtwettergebiete gemieden werden und bei nahendem Unwetter einen sicheren Hafen anzulaufen.

Übertragen auf Wintertouren bedeutet das, rechtzeitig Schutz vor schlechtem Wetter zu suchen oder gar nicht erst loszugehen. Abwettern heißt, nicht weiterzugehen, sondern sich selbst zu schützen und keiner unnötigen Gefahr auszusetzen. Rechtzeitig meint, die Hütte möglichst noch vor dem Sturm aufzusuchen oder ohne erreichbare Hütte wenigstens das Zelt stabil zu verankern und alles auf das Unwetter vorzubereiten.

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Unter den taktischen Maßnahmen versteht die Seefahrt verschiedene Arten, mit dem Sturm oder gegen ihn anzufahren.

Hier ist der Vergleich mit Wintertouren in Skandinavien eher im übertragenen Sinne möglich. Bist du bereits in einen Sturm geraten oder hat der Wind unerwartet aufgefrischt, musst du einen klaren Kopf bewahren. Frontal in den Sturm zu laufen, ist deutlich anstrengender als mit dem Wind im Rücken. Im Zweifelsfall kann ein Kurswechsel also sinnvoll sein, wenn es dort eine Hütte gibt. Ansonsten solltest du dich fragen:

Ist es für den Zeltaufbau schon zu spät?

Dann hast du hoffentlich einen Windsack als Notausrüstung dabei oder kannst dich in eine Wechte eingraben. Eine konkrete Windgeschwindigkeit, bei der ein Zeltaufbau nicht mehr möglich ist, lässt sich schwer beziffern. Lassen sich die Heringe gut verankern oder musst du im Pulverschnee wühlen? Kommt der Wind dauerhaft oder gibt es Windböen mit Pausen? Was für ein Zelt hast du? Als Richtwert wird es über 20 m/s eher eine Sache für Profis sein.

Bei Schneesturm lieber in die Hütte oder gleich das Hotel? (Foto: Malte Hübner)
Bei Schneesturm lieber in die Hütte oder gleich das Hotel?

Ist der Zeltaufbau noch möglich?

Vielleicht findest du eine etwas geschützte Stelle, wo ein kleiner Hügel, ein Strauch oder ein Fels dir etwas Schutz bieten? Oft reicht wirklich schon ein klein wenig Deckung für den Aufbau. Die richtige Zeltplatzwahl bei Wind und Sturm solltest du daher immer mitdenken. Und im Idealfall ist der Zeltaufbau dann bereits Routine und jeder in der Gruppe kennt die nötigen Handgriffe. Zu schnell ist sonst ein Beutel weggeflogen, ein loser Hering ausgerissen oder ein Gestängebogen gebrochen.

Wie verhalte ich mich richtig?

Für mich steht es fest: Wenn sich für das Abwettern der Aufenthalt auf einer Hütte anbietet, ziehe ich diese klar dem Zelt vor. Es ist ruhiger, ich kann mich frei bewegen, meine Kleidung trocknen, oft auch mich waschen und vieles angenehme mehr. Das ist die sichere Variante. Und es schadet daher erfahrungsgemäß nie, einen Puffertag für Schlechtwetter einzuplanen. Dann kannst du diese Zeit auch genießen.

Für den Hüttenaufenthalt muss das Unwetter aber absehbar gewesen sein. Ständige Wetterbeobachtung oder idealerweise ein verlässlicher Wetterbericht von YR.no (Norwegen) oder SMHI.se (Schweden) helfen dir dabei. Und zusätzlich muss es Hütten in der Nähe geben, die du ansteuern kannst. Auf der Seite UT.no findest du eine gute Übersicht über die norwegischen Hütten des DNT und beim schwedischen STF gibt es ebenfalls eine Hütten-Karte.

Und wenn ich im Zelt abwettern muss?

Für diesen Fall solltest du vor allem Ruhe bewahren und dich auf dein Wissen und Können besinnen:

  • Richte das Zelt gut zum Wind aus. Vor allem bei Tunnelzelten ist dies die halbe Miete.
  • Kontrolliere regelmäßig, ob alle Heringe fest sitzen und die Leinen gespannt sind.
  • Befreie das Zelt zwischendurch von angesammelten Triebschnee, auch nachts.
  • Horche auf den Wind und die Geräusche des Zeltes: Wenn es sich plötzlich ändert, könnte sich etwas gelöst haben.
  • Zieh dich warm genug an, wenn du das Zelt verlassen musst. Du kühlst im Wind sonst schnell aus.
  • Sichere alle Gegenstände rund um das Zelt. Am besten nimmst du bis auf die Pulka alles mit in die Apsis. Auch die Schneeschaufel nützt dir beim späteren Ausgraben nur im Zelt.
  • Bring deinen Kreislauf ab und zu durch ein paar Sit-ups in Gang, damit du nicht zu schnell frierst.
  • Brich nicht im Sturm auf, auch wenn du dadurch im schlimmsten Fall deinen Rückflug oder deine Rückfahrt verpasst.
  • Und wie immer: Don’t panic! Es geht vorbei.

Was hingegen nicht so gut geholfen hat, ist das gemeinsame Rufen von „F*ck dich, Sturm“ in Anlehnung an einen mittelmäßigen Film über einen Teddy.

Wetter checken und warten (Foto: Malte Hübner)
Wetter checken und warten

Womit kann ich mich beschäftigen?

Auf einer Hütte hat man sehr viel mehr Möglichkeiten als im Zelt. Auf großen Hütten wird einem wahrscheinlich nicht langweilig. Im Zelt liegt man hingegen die meiste Zeit im Schlafsack, weil es nur darin warm genug ist.

Da mir das Flattern der Zeltbahn oder das Klingeln der Reißverschluss-Schieber nach ein paar Stunden mächtig auf den Zeiger geht, höre ich oft Musik vom MP3-Player mit Kopfhörern. Hörbücher bieten sich ebenfalls an. Auch ein echtes Taschenbuch und eine wintertaugliche Stirnlampe zum Lesen habe ich immer im Gepäck. Meinem eBook-Reader traue ich die Kälte nicht zu, aber viele haben damit gute Erfahrung gemacht. In einer Gruppe kann man sich sonst abwechseln, wenn der eigene Lesestoff ausgeht.

In netter Gesellschaft kann man auch Karten spielen, sich unterhalten oder hat hoffentlich einen guten Geschichtenerzähler dabei. Alleine kann man gut kleinere Reparaturen wie Näharbeiten im Zelt durchführen.

Für die Lebensmittel- und Brennstoffvorräte ist so ein Pausentag dafür in der Regel eine kleine Katastrophe. Vielleicht kennt ihr das: Man isst sich so durch den Tag. Plane also immer einen kleinen Puffer in deinem Proviant ein. Der Seelenwärmer-Pudding heißt schließlich auch nicht umsonst so.

Ich entdecke mit der vielen Zeit dann auch, welche
Ich entdecke mit der vielen Zeit dann auch, welche „spezielle Ausrüstung“ mein Zeltmitbewohner dabei hat

Welche Erfahrungen hast du mit Abwettern im Zelt gemacht?

So richtig katastrophales Wetter habe ich bisher (zum Glück!) in Hütten abgesessen. Ein Tag im Zelt wegen Wind ist auf einer längeren Tour aber durchaus normal. Dank unserer konservativen – andere würden vielleicht sagen „vorsichtigen“ – Zeitplanung haben wir dafür aber einfach einen Pausentag genutzt. Das schlechte Wetter haben wir bisher immer kommen sehen. Manchmal ist es dann doch schwächer ausgefallen als unsere Vorhersage und wir konnten weiter ziehen.

Mich würde daher interessieren, wie ihr das so macht. Fragt ihr auf jeder Hütte nach dem aktuellen Wetterbericht oder nutzt ihr inzwischen ein Garmin inReach für Wetterupdates? Oder seid ihr einfach sicher im Wolkenlesen? Worüber denkt ihr nach, wenn ihr stundenlang im Zelt liegt? Was war auf Wintertour die längste Zeit, die ihr durch das Wetter ins Zelt verbannt gewesen seid?

Jetzt bist du an der Reihe. Welche Fragen hast du? Was gefällt dir an diesem Beitrag? Was möchtest du ergänzen? Lass es mich in einem Kommentar wissen.

2 Gedanken zu „Abwettern im Zelt bei Schneesturm“

    • Jau, genau so wird es gemacht. Deine Uhr hat wahrscheinlich einen Verlaufsgraphen, sonst einfach abends ablesen und den Wert merken für den Vergleich. Und dann greift die genannte strategische Maßnahme, rechtzeitig Schutz vor schlechtem Wetter zu suchen oder gar nicht erst loszugehen. Gibt ja nur wenige Situationen, wo man nicht noch in geschützteres Gebiet kommen kann. Aber wenn doch oder man sich sonstwie verschätzt hat, dann…siehe oben.

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